Es geht nur gemeinsam: Wenn Menschen an Krebs erkranken, ist die Familie ihre wichtigste Stütze. Monika Böttger und ihre Söhne zeigen, wie das gelingen kann.
Mutter ist eine starke Frau“, sagt ihr ältester Sohn Theo. Andere hätten vermutlich in ihrer Situation schon lange aufgegeben. Aber sie wollte stärker sein als die Krankheit, obwohl sie auch das Bedürfnis nach Unterstützung, Nähe und Hilfe hatte. Viel hätte sie mit sich selbst ausgemacht. „Sie wollte uns im emotionalen Sinne nie auf der Tasche liegen“, bringt es Theo auf den Punkt.
Anfangs ging es auch ums Verdrängen. Konflikte. Streit. „Du weißt gar nicht, wie es mir geht“, musste sich Theo von seiner Mutter anhören. „Nein, das weiß ich nicht – ich habe keinen Krebs. Aber ich bin empathisch und versuche zu verstehen.“ Dennoch machten ihre Kinder ihr Mut und bestärkten sie, sich nicht mit der Krankheit zu verstecken, sich nicht peinlich oder hässlich zu fühlen. „Wir rieten ihr dazu die Haare abzuschneiden, bevor sie in Büscheln ausfallen.“ Als die Haare ausgingen, gaben ihre Söhne beim Perückenmacher Tipps und Ratschläge. „Wir haben sie darin bestärkt, selbstbewusst mit der Krankheit umzugehen. Sich dennoch hübsch anzuziehen, weiterzumachen als wäre nichts geschehen, die Zeit zu nutzen und zu überlegen, was sie noch will im Leben nach dem Krebs.“
Lange Suche nach sich selbst
In ihrem Haus in Finsterwalde stellt Monika Böttger gleich nach der Begrüßung klar: „Ich bin jetzt Moni ohne Ecki.“ Nach dem Tod ihres Mannes hatte es Monika Böttger nicht einfach, sich selbst zu finden. Zu sehr war sie mit ihrem Mann in einer intensiven, symbiotischen Partnerschaft vereint, die mehr das Wir als das Ich betonte. Anfangs war sie noch oft mit der Kunst ihres Mannes unterwegs.
Aber es folgte die Zeit der Emanzipation und Selbstfindung nach dem Tod von Eckard. Sie lernte neue Menschen kennen. Und langsam kam das Leben mit all seinen Facetten zurück in ihren Alltag. Es war ein Prozess und ging gut bis zum Spätsommer 2017, dem Tag, als sie aus dem Urlaub kam und diese Knoten in der linken Brust fühlte. „Na, vielleicht ist es nicht so schlimm“, dachte sie, da ihr schon einmal 1994 aus der rechten Brust ein gutartiges Geschwür erfolgreich operativ entfernt wurde. Nach dem Besuch beim Frauenarzt folgten weitere Untersuchungen, wie die Mammografie und Biopsie, bis die Diagnose feststand: der Brustkrebs war bösartig. „Heulend fuhr ich nach Hause und war völlig fertig, weil ich dachte: das schaff ich jetzt nicht allein.“ Doch Angst vor dem Krebs hatte sie nach eigener Aussage nicht, sondern mehr vor der Chemotherapie. „Am 19. Oktober, dem Hochzeitstag mit Ecki, hatte ich dann meine erste Chemo über sechs Stunden lang.“
Zwanzig Mal bis kurz vor Weihnachten musste sie donnerstags in ein spezielles Krebszentrum, wo sie später auch operiert wurde. Dann folgten die zweite Chemo und Bestrahlung. Das alles hatte Folgen. Ihr Appetit ging aus. Der Geschmacks- und Geruchssinn waren weg. Sie war permanent kaputt und fühlte sich schlapp. Hatte Nasenbluten. Einen Pilz im Mund. Die Haare auf dem Kopf fielen aus – ebenso die der Augenbrauen und Wimpern. Und später kam das Wasser in die Zellen mit der Gewichtszunahme. „Aber ich blieb in Bewegung und ging viel in die Natur und sogar Tango tanzen“, sagt sie rückblickend mit einem Lächeln. „Mein Immunsystem war stabil und von möglichen Krankheiten, wie einer Lungenentzündung, blieb ich Gott sei Dank verschont.“
Enttäuscht zeigt sich Monika Böttger von den gesetzlichen Krankenkassen, die nur das Nötigste bezahlten und nach ihrer Erfahrung nicht ausreichend die Krebs-Patienten informieren. „Jeder macht nur seins: die Ärzte operieren, die Kassen zahlen – und zwar nur auf Antrag. Es läuft zu wenig zusammen und miteinander. Und ich als Patientin fühlte mich oft alleingelassen“, bilanziert sie. Seelische Hilfe fand sie zu dieser Zeit bei einem befreundeten Pfarrer. „Alle helfen allen“, war immer das Motto in der Familie Böttger. Zwischen den Generationen gab es eine außerordentlich enge familiäre Verbundenheit.
In den jungen Jahren ging alles rasend schnell
Monika und Ecki waren schon sehr früh ein Paar und hatten über drei Jahrzehnte eine glückliche Ehe. Ihren Mann lernte Monika als 16-Jährige in Meißen auf der Porzellanmalerschule kennen. Mit 20 Jahren waren sie bereits verheiratet. Ein Jahr später wurde ihr Sohn Theo geboren. Sieben weitere Jahre später folgte Martin. Alles ging in diesen Jahren der Jugend und des Erwachsenenwerdens rasend schnell. Später stand sie ihrem Mann zur Seite, organisierte und hielt das Geld zusammen. Als ihr Mann starb, war sie 56 Jahre alt.
„Mit Eckis ALS-Erkrankung, bin ich gewachsen – eventuell habe ich deshalb meine eigene Erkrankung auch so locker genommen“, glaubt Monika Böttger. „Wir waren 36 Jahre verheiratet, da hätte ich meinen Mann nie in eine fremde Betreuung geben können.“ Damals hat sie viele Dinge übernommen, die eigentlich nur in Krankenhäusern ausgebildete Schwestern bei den Patienten ausführen dürfen. Und so ging die Zeit der 24-Stunden-Pflege nicht spurlos an ihr vorüber. Fast sechs Jahre hätte sie nach Eckis Tod gebraucht, bis sie wieder zu 100 Prozent körperlich und geistig fit war. Ihr Sohn Martin erzählt vom verloren gegangenen Körpergefühl seiner Mutter nach dem Tod ihres Mannes. „Wir standen zum Beispiel in einer Parfümerie und sie wusste nicht, was wir da sollten.“
Doch nicht nur der Tod ihres Mannes war im letzten Jahrzehnt ein schwerer Schicksalsschlag für Monika Böttger. Vor drei Jahren starb ihre Schwester an einem Hirntumor, der nur sechs Wochen vorher diagnostiziert wurde. Und im Jahr darauf verschied ihre Mutter in einem Altenheim. Ein halbes Jahr danach erhielt sie ihre Krebsdiagnose … Wie hat sie als von der Krankheit Betroffene das Thema Krebs und Familie wahrgenommen? „Wer sich einer Chemotherapie unterzieht, ist ein anderer Mensch“, stellt Monika voran, „ich konnte oft nicht klar denken.“ Ihre Söhne besuchten sie seit der Diagnose wechselseitig an den Wochenenden. Während der Woche skypten sie viel. „Martin war schon als Zivi im sozialen Bereich aktiv und auch bei der Pflege seines Vaters sehr hilfsbereit“, erinnert sich Monika. Mit innerer Ruhe und einem Schuss Realismus ging er an die Krankheit seiner Mutter heran.
Weihnachten 2017: Als Theo, Martin und seine Familie zu Besuch nach Finsterwalde kamen, „da war es eher ein anstrengendes Fest als ein Fest der Freude, Familie und Liebe“, erklärt sie nüchtern. Monika war in dieser Zeit so mit den Auswirkungen ihrer immer kürzer aufeinanderfolgenden Termine für die Chemotherapie beschäftigt, dass sie die Weihnachtszeit über geschwächt und überfordert war, da zwischen den Chemos der Körper extrem auf die Vergiftung reagierte und Ruhe brauchte. Erwartungen und Wünsche kollidierten. „Weihnachten und Krebs, das passt nicht zusammen“, bringt sie es auf den Punkt.
Getröstet durch das Abendmahl
Nach Neujahr 2018 entschied sich Monika, viele Dinge erst einmal allein und nur mit sich durchzustehen. „Meine Söhne habe ich damals ganz bewusst aus meiner Krankheit entlassen.“ Dabei half Monika auch der christliche Glaube, der durch eine persönliche Beziehung zu einem Pfarrer neu in ihr Leben trat. Durch diese Beziehung wurde die Frage nach Gott für Monika nach der Krebsdiagnose wieder bestimmend. Sie fand in der evangelischen Kirche beim Abendmahl Gemeinschaft, Trost und Zusammenhalt. Mit Worten – auch via SMS – „fand ich bei meinem Pfarrer“ Unterstützung, Halt und Hoffnung.
Aus der Erfahrung mit der Krankheit ihres Vaters waren beide Böttger-Brüder sensibilisiert. Weil sie sich vorher informierten und mit den behandelnden Ärzten sprachen, wussten sie, dass dank der frühen Erkennung der Krankheit eine 90-prozentige Heilungschance bestand. „Krebs ist nicht gleich Sterbediagnose. Durch dieses Wissen hatten wir Hoffnung, dass es gut geht und nicht wie bei Vati am Ende der Tod steht“, sagt Martin. „So konnten wir unsere Systeme aufrechterhalten und waren den Umständen entsprechend entspannter“, erläutert er.
Sein Bruder Theo schränkt ein, „dass es dennoch Zeiten gab, wo die Krankheit in bestimmten Momenten die Kontrolle über die Familie übernahm“. Zum Beispiel nach der Chemo, „da knallten Bedürftigkeiten, Wünsche und Erwartungen aufeinander, wo wir als Angehörige nicht so richtig wussten, wie nun damit umzugehen ist“. Martin spricht in diesem Kontext von „Schwerheit, die auf einmal wieder da war“, und sein Bruder ergänzt, „dass die Stärke unserer Mutter auch gelegentlich zu bröckeln begann“.
Die Betreuung und die Reisen zu ihrer Mutter kosteten beide Brüdern viel Kraft. „Zwei Tage brauchte ich oft, um wieder fit zu sein und mich zu regenerieren“, gibt Martin offen zu. „Sonntag kam ich von Mutter und war total fertig und Montag sollte ich wieder vor den Studenten stehen und freundlich sein. Wer schafft das?“ Mit diesem Zwiespalt mussten sich die Böttger-Brüder arrangieren. „Sterben gehört zum Leben dazu“, erklärt Theo. Aber für ihn war klar, „Mutter wird nicht am Krebs sterben – das hätte ich nicht zugelassen.“ Den Brüdern war bewusst, trotz aller Liebe, Nähe und Fürsorge innerhalb der Familie darf man sich nicht aufgeben – auch um selbst nicht krank zu werden. Sie wussten um den Selbstschutz, der es auch mal notwendig macht zu funktionieren, um die Hoffnung nicht zu verlieren.
Hintergrund
Wir fliegen zum Mond, sind weltweit in Sekundenschnelle vernetzt und skypen mit dem Handy von Kontinent zu Kontinent, aber einen der großen, oft tödlichen Schrecken der Menschheit – den KREBS – können wir in vielen Fällen noch immer nicht besiegen. Das war ein Grund, warum Rocco Thiede sich mit dem Thema Krebs in der Familie auseinandersetzte. Daraus entstand „Wir sind für Dich da“ (Herder Verlag). Keines seiner mittlerweile zehn Sachbücher hat Thiede bisher so intensiv und emotional so stark berührt, wie diese aktuelle Anthologie mit elf Reportagen. Als Herausgeber (zusammen mit der Deutschen Krebshilfe) und Autor ist es, sagt er, „mit Abstand zu meiner wichtigsten, aber auch schwersten Publikation geworden“. Ihr ist die Reportage über Monika Böttger entnommen.
https://www.die-tagespost.de/leben/familie/Patient-ist-die-ganze-Familie;art4887,201869