Klosterkind

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Ich steh vor Dir mit leeren Händen Herr, fremd wie dein Name sind mir deine Wege …“, mit Inbrunst singt die fünfjährige Lorenza diesen holländischen Hymnus aus den 60er Jahren beim Mittagsgebet in der österlichen Bußzeit mit. Nur wenige Meter von ihr sitzen die schwarzgekleideten Benediktinerinnen der Abtei Klosterburg Dinklage. Immer wieder schaut sie neugierig zu ihnen herüber. Und auch die Ordensfrauen beobachten das Kind genau und scheinen sich über ihren jüngsten Klostergast zu freuen. „Schade, dass unser Klosterkind nun schon wieder nach Hause fährt“, wird Schwester Carola später sagen und man merkt ihr an, dass es auch den Nonnen Freude bereitete, einen so jungen Gast in der Fastenzeit bei sich zu beherbergen.
Seit fast zwei Jahrzehnten gehe ich mindestens einmal im Jahr als Gast in ein Kloster. Leider sind es oft nur wenige Tage. Wenn es in den letzten Jahren einmal eine ganze Woche wurde, dann war dies schon viel. Aber als Vater von sechs Kindern kann man nur selten seinen persönlichen Bedürfnissen zu 100 Prozent nachgehen. Der Alltag von Großfamilien ist ein permanenter Aushandlungsprozess. Und der Kompromiss ist eher die Regel als die Ausnahme. Kompromisse haben aber auch ihre guten Seiten. So folgte mir kurz nach der Jahrtausendwende auch meine Frau und entdeckte für sich die Gründe, warum Menschen eine zunehmende Sehnsucht nach klösterlicher Abgeschiedenheit, Ruhe und Zurückgezogenheit haben. Ebenso wie ich selbst nutzte meine Frau das Klosterleben auf Zeit, um einmal abzuschalten und jenseits digitaler Erreichbarkeit zu sich zu kommen. In dieser Zeit hatte ich als Vater allein den Haushalt und die Kinder zu managen. Eine Erfahrung, die jedem Papa auch einmal guttut. Wenn der Klosteraufenthalt meiner Frau in den Beginn der Osterferien fiel, fuhr ich zusammen mit unseren Kindern Mama abholen. So konnten – allerdings nur für Stunden – auch die jugendlichen Kinder und die kleineren Grundschüler einige Gebetszeiten im Kloster als Tagesgast miterleben. Auch wenn wir als Familie in unseren Ferien regelmäßig Kirchen und Klöster besuchen, sie besichtigen und dort auch Heilige Messen mitfeiern, das Kloster Burg Dinklage hat für uns immer eine besondere Rolle gespielt. Der erste Klosteraufenthalt meiner Frau fiel genau in jene Monate, als sie mit unserem heute fast 16 Jahre alten Sohn Liborius schwanger war. Und auch unsere jüngste Tochter Lorenza war schon im Bauch ihrer Mutter bei den Benediktinerinnen zu Gast. Das alles geht mir durch den Kopf, als ich mit Lorenza dem Gesang der Nonnen lausche und sie den Psalm 119 anstimmen: „Wunderwerke sind deine Zeugnisse, darum bewahrt sie meine Seele …“

Ein etwas anderer Aufenthalt dieses Jahr

Mein Aufenthalt dieses Jahr verlief anders als meine Besuche in den Vorjahren. Auch aus organisatorischen Gründen hatte ich mich entschlossen, die vier Tage in Dinklage zusammen mit Töchterchen Lorenza im Kloster zu verbringen. Großeltern, die uns früher auch einmal helfen konnten, stehen heute nicht mehr regelmäßig zur Verfügung. Und im kommenden Jahr wird Lorenza bereits ein Schulkind sein und die Schulpflicht eine Reise ins Kloster jenseits der Ferien fast unmöglich machen. Irgendwie war es auch für mich ein Experiment. Wird die Anreise von fast sieben Stunden Bahnfahrt dem Kind nicht zu lang? Wie werden wir uns beide dort verstehen und ist der strukturierte Tag mit den Gebetszeiten am Morgen, mittags und abends nicht zu viel für ein fünfjähriges Vorschulkind? Um es vorweg zu sagen: Alle meine Befürchtungen erwiesen sich als hinfällig. Als ich Lorenza am Abend vom Nachtgebet um 20.30 Uhr befreien wollte, weil ja auch schon früh um 7.30 Uhr die Heilige Messe beginnt, protestierte sie. „Der Gesang ist so schön. Den möchte ich nicht verpassen Papi.“ Also haben wir fast kein Stundengebet ausgelassen. Und Schwester Lydia staunte: „Du bist immer bei den Gebeten dabei und immer so aufmerksam. Das ist toll!“.
Lorenza war während unseres Aufenthaltes das einzige Kind auf der alten Wasserburg der ehemaligen Grafen zu Galen. Es ist ein historischer Ort, dort wo auch der „Löwe von Münster“, Kardinal von Galen, herstammt und wo es seit 70 Jahren ein Benediktinerinnenkloster mit „Ora et Labora“ gibt. Obwohl keine anderen Kinder zu Gast waren, wurde es ihr nicht langweilig. In den Ferien kommen gern Familien oder Alleinerziehende hierher. Deshalb gibt es in einem ehemaligen Verließ der Burg auch viele Spiele, Bälle, Kuscheltiere oder Kinderbücher. Zwischen den Gebetszeiten gingen wir zum Beispiel in ein nahegelegenes Tiergehege oder in die Schwimmhalle. Lorenza hatte auch kein Problem damit, in unserem Zimmer „St. Thomas Morus“, in das die Schwestern extra eine zusätzliche Matratze für sie zum Schlafen gelegt hatten, einmal allein zu spielen. Sie schaute sich Bilderbücher an. Wir spielten Domino oder Halma. Auch „Schule spielen“ und Bücher vorlesen war täglich fester Programmpunkt. Wir gingen auf Spielplätze oder fuhren mit dem Rad durch die Wälder. Und selbst für eine kurze Siesta nach dem Mittagessen blieb Zeit. Ich nutzte bisher meine Tage im Kloster immer gern, um über Dinge in Familie oder Beruf nachzudenken. In der Abgeschiedenheit konnte ich noch einmal über abgeschlossene Projekte Bilanz ziehen und mir kommen Ideen zu neuen Artikeln, Radiobeiträgen oder Büchern. Sogar das war mir – wenn auch nicht so intensiv, wie sonst – möglich. Meine Tochter spielte derweil ganz für sich allein und ich konnte meinen Gedanken hinterhergehen und mir Notizen für Zukünftiges machen. Das hätte ich vorab nicht für möglich gehalten. Es gibt viel gute Literatur über Bindung und gelungenes Familienleben. Wir haben davon bestimmt zwei, drei Regalmeter mit mehr oder minder nützlichen Erziehungsratgebern und Sachbüchern in der Hausbibliothek stehen. Aber offen gestanden, gelesen hat diese meist meine Frau. Umgesetzt haben wir die Erziehung unserer Kinder dann immer zusammen – auch wenn ich über viele Jahre der Alleinverdiener war und meine Frau sich intensiver um Haushalt und Erziehung kümmerte als ich. Ein Grundwissen über Bindung zu haben, ist gut. Bindung praktisch zu leben ist besser! Mütter und Väter sollten mit ihren Kindern – egal in welchem Alter, so viel wie möglich zusammen sein und etwas gemeinsam unternehmen – und auch einmal ungewöhnliche Wege gehen.
Wann hat man mit seinem Kind einmal so intensiv Zeit? Mit Erstaunen merkte ich im Kloster, wie selbstständig und wissbegierig mein Vorschulkind schon ist. Das war mir zu Hause bisher nicht so aufgefallen. Theoretisch hätte viel gegen eine Reise mit einer Fünfjährigen in ein weit entferntes Kloster gesprochen. Wird das nicht langweilig für das Kind? Was macht ihr da den ganzen Tag? Und wenn es schiefgeht? Bedenkenträger gab es vorab einige … Man darf nicht vergessen, dass es in Klöstern immer eine Reihe von Menschen gibt, die Schweigeexerzitien machen oder die einfach mal ihre Ruhe vom lauten Alltag haben wollen. Auch das stille Gebet, die Horen und der tägliche Gottesdienst verlangen nach Systematik und festen Regeln. Lautes Lärmen, wildes Kindergeschrei und Herumtoben vereinbaren sich nicht damit. Aber wie man sich angemessen im Haus Gottes im Allgemeinen und als Gast im Kloster im Speziellen verhält, das können auch Kinder recht früh lernen. Und warum nicht auch zusammen mit dem Papa? Das geht. Rückblickend bereue ich es fast, nicht schon einmal früher mit einem meiner Kinder die Reise allein ins Kloster unternommen zu haben. Übrigens: Mein Klosterkind möchte nächstes Jahr wieder in die Abtei Burg Dinklage. Und zu Hause zeigte sie ihren älteren Geschwistern erst einmal anschaulich, wie sich Nonnen nach dem Stundengebet verabschieden. Lorenza verbeugt sich tief und singt dabei laut: „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Wie im Anfang so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit. Amen. …

https://www.die-tagespost.de/gesellschaft/feuilleton/Klosterkind;art310,196644


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