Jesus in der „Hall of Fame“

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Für Juden gehört Jesus in die „Hall of Fame berühmter jüdischer Persönlichkeiten“, genauso wie Albert Einstein, Karl Marx oder Marie Curie. Der Historiker Johannes Schwarz erklärt das normalerweise Besuchern im Jüdischen Museum in Berlin.

„Wir hatten mit den Eröffnungen unseres Museums immer etwas Pech. Die erste Eröffnung war 2001 am 11. September, also Nine-Eleven, da kamen gerade die Nachrichten aus New York rein. Und dieses Mal hatten wir Corona“, berichtet der Historiker Johannes Schwarz. Da ahnt er noch nicht, dass seine Führung schon wieder eine der vorläufig letzten sein wird. Wieder erzwingt Corona eine Pause. Aber an diesem Tag kann Schwarz eineinhalb Stunden lang eine Gruppe Jugendlicher durch die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Berlin-Kreuzberg führen.

 
 

„Der Altbau war ursprünglich gar kein Museum, sondern ist ein 250 Jahre altes Gerichtsgebäude. Hier residierte der Oberste Preußische Gerichtshof“ erklärt Schwarz den Abiturienten die Architektur und Geschichte des Hauses. Alles wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört. Nach dem Mauerbau baute man die Ruine wieder auf und richtete ein eigenes Stadtmuseum mit einer Unterabteilung zur jüdischen Geschichte ein. „Man kann die jüdische Geschichte nicht von der Berlin-Geschichte trennen. Jüdische Menschen haben hier fast immer kontinuierlich gelebt, bis heute“, sagt Schwarz und weist dabei auf das Jubiläum 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland hin, das in diesem Jahr gefeiert wird. Im Jahr 321 wurde durch Urkunden in Köln die erste jüdische Gemeinde auf deutschem Boden nachgewiesen.

Das geteilte Berlin hatte zwei Stadtmuseen: eines in Ostberlin, das andere in Kreuzberg. Nach dem Mauerfall führte man sie zusammen. In den 90er-Jahren wurde beschlossen, im alten Westberliner Stadtmuseum das Jüdische Museum Berlin, kurz JMB, einzurichten: als Bundeseinrichtung für ganz Deutschland. Und dann kam 1999 der spektakuläre Zickzack-Neubau des Stararchitekten Daniel Libeskind dazu. Mit seiner weit sichtbaren silbernen Titan-Zink-Verkleidung machte er das JMB in der Lindenstraße zum größten Jüdischen Museum in Europa. Und hier erleben die Besucher laut Johannes Schwarz: „Vergangenheit. Alte Geschichten von Moses, von Jesus, von Mohamed …“

Moses, Wüstenwanderung und Sukkot

Schwarz arbeitet seit fast 20 Jahren für die Museumspädagogik am JMB. Er versucht den jungen Menschen durch die Architektur des Museumsbaus Grundlagen des Judentums zu vermitteln. „Wüstenwanderung. Schon mal was davon gehört? Die Israeliten sind in Ägypten als Sklaven. Befreien sich. Gehen los mit Moses durchs Rote Meer. Werden gerade so gerettet. Und dann noch 40 Jahre durch die Wüste. Könnt ihr euch vorstellen, was es heißt, nicht in einem festen Haus zu wohnen? Immer umherzuwandern? Ein Flüchtling zu sein?“ Und schon ist der Guide beim Laubhüttenfest, „auf Hebräisch Sukka, die Hütte, und Sukkot, das Laubhüttenfest“.

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Stufen in die Unendlichkeit.

(Foto: Rocco Thiede)

An der imposanten Glashalle geht es vorbei zum Innenhof mit Infostand und Restaurant, in Glasvitrinen erinnern hier Lebenszeugnisse an Menschen, die in der Nazizeit alles zurücklassen mussten. Dann steht die Gruppe vor einem langen Aufgang. Architekt Libeskind nannte es die Treppe der Kontinuität. In den 82 Stufen bis zur zweiten Etage steckt viel Symbolik. Was könnte dahinterstecken, will Schwarz wissen? Und er gibt die Antwort gleich selbst: „Unendlichkeit.“

Dann holt er aus seinem Sakko einen kleinen siebenarmigen Leuchter, der als Souvenir auch im Museumsshop zu erwerben ist: „Kennt ihr vielleicht? Wie viele Arme? Sieben. Die Menora. War der Tempelleuchter in Jerusalem, für die sieben Tage, die in der Bibel schon auftauchen. Sieben Tage für die Schöpfungsgeschichte. Wobei Gott eigentlich nur sechs Tage gearbeitet hat. Am siebten hat er geruht. Die Idee des Ruhetages kommt erstmals im Judentum auf.“ Aber was hat es mit den acht obersten Stufen auf sich, fragt er. „Sie weisen über unsere Welt hinaus in die kommende Welt: Olam Haba sagt man.“ Die Jugendlichen hören aufmerksam zu, als es um das Paradies, die Zeit nach dem eigenen Tod, das spirituelle Jenseits geht. „Eine vollkommene Welt des Friedens und Wohlergehens.“

Davidstern und Synagogen

Der Jude Jesus wurde ans Kreuz geschlagen. Für Christen ist er eine Basis ihrer Religion. Für Juden gehört Jesus Christus zur „Hall of Fame berühmter jüdischer Persönlichkeiten“, erzählt Schwarz, genauso wie Albert Einstein, Karl Marx oder Marie Curie. Viele wissen heute gar nicht, wer alles einen jüdischen Hintergrund hatte. Und es gibt nicht wenige Menschen, die noch nie mit jüdischen Gläubigen zu tun hatten. Der 18-jährige Max kennt immerhin einen: „Ich habe einen jüdischen Mitschüler.“

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Johannes Schwarz könnte man Stunden zuhören.

(Foto: Rocco Thiede)

War Max schon einmal in einem jüdischen Museum? „Nein, noch nie. Ich habe Religionsunterricht in der Schule und da haben wir auch schon mal übers Judentum geredet“, sagt der junge Mann. Vom Davidstern oder den Synagogen haben die meisten Jugendlichen schon mal was gehört, nur zu ihren Bedeutungen und Hintergründen wissen sie „nicht so viel“, wie Max ehrlich zugibt.

Thora und Zehn Gebote

Johannes Schwarz stoppt nun vor einer großen Vitrine mit vielen Ausstellungsstücken. „Ist euch die Thora ein Begriff? Was bedeutet diese Schriftrolle?“ Max meldet sich und glaubt, „steht da nicht die Geschichte vom Judentum oder von der Welt insgesamt drauf?“ Schwarz sagt salopp: „Es ist genau das gleiche Ding, das auch die Christen benutzen. Nur das die Christen dann noch ein anderes Teil rangehängt haben. Die würden dann von dem Alten und dem Neuen Testament sprechen. Die Juden würden sagen: Nö, es gibt kein Neues Testament, denn das Alte ist auch noch neu und aktuell.“ Er erklärt, dass die Thora die ersten Bücher der Bibel enthält. „Das Allerwichtigste, was uns Gott gegeben hat: alle Zehn Gebote in den fünf Büchern Mose.“ Alles wurde per Hand mit einer besonderen Tinte auf Pergament, also Tierhaut, geschrieben. Ein Thoraschreiber braucht theoretisch etwa ein Jahr dazu, um so eine Rolle fertigzustellen. „Sie ist gut 25 Meter lang und kostet zwischen 30.000 und 50.000 Euro“. Die Jugendlichen staunen.

Chanukka, Pessach und Schabbat

Schwarz kommt dann auf die Religionsmündigkeit im Judentum zu sprechen. Mädchen sind mit 12 und Jungen mit 13 Jahren so weit und feiern ihre Bat- bzw. Bar Mitzwa, was dem Sinn nach der Firmung bei Katholiken oder der Konfirmation bei evangelischen Christen entspricht. Dann geht es um die Kippa, die Kopfbedeckung der Juden, als Zeichen und Ehrerbietung vor Gott. Er erläutert die Rolle des Gebetsschals oder von Gebetsriemen. Und was bei Juden heilig ist.

An weiteren Gegenständen wie einem Chanukka-Leuchter oder einem Pessach Teller veranschaulicht er weitere jüdische Feste, die Speisevorschriften und ihre Bedeutung. „Bei Pessach geht es um den Auszug aus Ägypten. Und hier der Becher, was könnte man reintun? Im Judentum ganz wichtig, im Gegensatz zum Islam: Wein. Den gibt es Freitagabend immer zum Beginn des Schabbats. Brot und Wein haben die Christen übernommen, als Abendmahl.“

Vielfalt des jüdischen Lebens im 21. Jahrhundert

Zum Abschluss geht Schwarz mit den Schülern zu einer modernen Videoinstallation. Sie veranschaulicht, wie vielfältig das jüdische Leben im 21. Jahrhundert ist: Alte und Junge, Familienväter und Homosexuelle, Orthodoxe und Liberale kommen dort zu Wort. Gespannt lauschen die Jugendlichen den Filmsequenzen. Gerade taucht ein kleines jüdisches Mädchen auf: „Ich bin das Mittelkind. Und deswegen kriege ich auch immer Ärger. Meine Hobbys sind Malen, Schwimmen und meistens zu Hause zu bleiben.“

Bevor Schwarz seine Gruppe verabschiedet, zeigt er ihnen sein liebstes Ausstellungsstück einen sogenannten „Visual Prayer mit Aufnahmen aus einem orthodoxen Gottesdienst, in dem viel gesungen wird. Hebräisch wird eigentlich nicht gelesen, sondern eher gesungen“, betont er. Melih Güner ist Muslim. In seiner Familie spielt Religion eine wichtige Rolle. Er und sein Schulkamerad Artur sind im selben Religionskurs. Vieles war den beiden 18-Jährigen schon aus dem Unterricht bekannt. „Wir stellen ja Bezüge zwischen den Religionen her. Aber dass man Hebräisch nicht einfach liest, sondern eher singt, das wusste ich bisher noch nicht“, gesteht Arthur.

Um alle Objekte der Dauerausstellung zu studieren, bräuchte man Tage. Besonders zeitintensiv sind die vielen Texte über den Holocaust und den nationalsozialistischen Massenmord an den über sechs Millionen Juden in Europa. Aber das wäre dann eine eigene Führung mit Johannes Schwarz. Wenn das Museum wieder geöffnet ist.