Die alleinerziehende Mutter Stefanie M. war Filmemacherin und arbeitet heute als medizinische Fachangestellte. Dank dem Bindungsprogramm „Wir2“ kommt sie mit ihrem vierjährigen Sohn und ihrer Herkunftsfamilie besser über die Runden. Es war ein langer Weg.
Zwölf Jahre lang war Stefanie M. erst Kamera-Assistentin und dann Kamerafrau. Sie drehte für Fernsehanstalten, aber auch fürs Kino. Doch obwohl sie erfolgreich war, wollte sie nicht mit diesem Job in Rente gehen. Irgendwann war die Zeit reif, „eine eigene Familie aufzubauen“, erzählt sie ntv.de.
Also stieg sie aus dem Filmgeschäft aus. Sie machte eine Umschulung zur medizinischen Fachangestellten, „um wirtschaftlich eine Basis zu haben, damit ich ein Kind versorgen kann. Außerdem wollte ich mehr Ruhe in mein Leben bringen. Vorher war ich fast nur im Ausland unterwegs und habe super viel gearbeitet. Nur allein die Arbeit macht aber nicht den Lebenssinn aus“.
Mit dem Abschluss ihrer Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten wurde sie Mama. Doch der Traum vom Kind wurde zur extremen Herausforderung. „Alleinerziehend: das war nicht mein Plan. Aber mit der Entscheidung das Kind zu bekommen, so um den dritten Schwangerschaftsmonat herum, hat sich alles sehr anstrengend entwickelt“, sagt sie rückblickend.
Völlig neue Aufgabe
Die Beziehung zum Vater des Kindes hält nicht, die junge Mutter hat viel mit Behörden zu tun: Familienberatung, Jugendamt, Polizei, Gericht. Sie besucht Kurse und Therapien. Als besonders hilfreich erweist sich für sie und ihren Sohn das Bindungsprogramm „Wir2“. Ein halbes Jahr lang absolviert sie das Training im Sozialpädagogischen Institut (SPI) in Berlin-Lichtenberg.
Sie lernt dort, dass jedes Kind 50 Prozent Vater und 50 Prozent Mutter ist. Der Partner soll immer integriert werden, weil dies dem Kind guttut. Das Wichtigste bei allem: Das Wohl des Kindes! „Wenn der Fokus auf dem Kind liegt, kann alles gut werden“, sagt sie heute. Gemeinsame Gespräche stärken die Elternschaft. „Hier hat mir das Wir2 – Bindungsprogramm unglaublich viel Kraft und Halt gegeben.“
Jährlich erleben 200.000 Kinder in der Bundesrepublik die Trennung ihrer Eltern. Jedes fünfte Kind wächst bei nur einem Elternteil auf – zu 90 Prozent bei der Mutter. Viele dieser Kinder leiden unter sozialer Armut und auch psychischen Problemen. Wenn die Beziehungen dann auch noch hochstrittig zu Ende gegangen sind, kommen weitere Schwierigkeiten hinzu. „Gestörte Bindungen zwischen Kindern und Eltern machen krank“, sagt Prof. Dr. Matthias Franz vom Klinischen Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums in Düsseldorf. Er arbeitet und forscht seit Jahrzehnten über Alleinerziehende und hat in zehnjähriger Arbeit das bindungstheoretisch fundierte Konzept und die didaktische Umsetzung von Wir2 entwickelt. „Viele Eltern und besonders die Alleinerziehenden machen einen ganz tollen Job. Nicht die Alleinerziehenden sind das Problem. Das Problem ist die unzureichende gesellschaftliche Unterstützung. Denn familiäre Trennung ist ein Gesundheitsrisiko für alle“, stellt Franz klar.
Klare Struktur
Franz hat in der gemeinnützigen Walter Blüchert Stiftung (WBS) aus Gütersloh einen Kooperationspartner gefunden. Bisher wurden über 700 Gruppenleiter an 50 Standorten auf das „Wir2-Bindungstraining“ geschult. Es richtet sich an Alleinerziehende mit Kindern im Vor- und Grundschulalter im Alter von drei bis zehn Jahren. Ihre Eltern-Kind-Beziehung soll sich „durch Reduktion der Depressivität und Stärkung der Feinfühligkeit“ stabilisieren. Dafür gibt es 20 wöchentliche Gruppensitzungen à 90 Minuten, mit Diskussionen, Rollenspielen und Übungen, die auch zu Hause vertieft werden können.
M. tat es vor allem gut, ihre Emotionen zu teilen. „Alles war sehr strukturiert, und ich wurde dabei unterstützt, für meinen Sohn einzustehen“. Eine der ersten Übungen war es zum Beispiel, sich mit seinem Kind hinzulegen. Man umrandet mit einem Stift auf einem großen Blatt Papier seinen Körper. „Das mache ich mit Wanja heute immer noch gerne. Dieser Methode folgten auch Oma und Opa.“
Unsichtbare Belastungen
Die Alleinerziehende fühlte sich durch die Verbindung mit anderen Frauen gestärkt, die ähnliche Herausforderungen wie sie erlebten. „Viele Menschen wissen nicht, wie es Alleinerziehenden in der Bundesrepublik geht. Alleinerziehend und Hartz-IV-Empfänger zu sein – das ist unglaublich belastend und macht langfristig chronisch krank. Die Kinder verarmen emotional, durch die Überlastungen ihrer Elternteile.“
Der erste „Nationale Präventionsbericht“ von Sozialversicherungsträgern und Krankenkassen stufte im letzten Jahr „Wir2“ offiziell als wirksame Maßnahme ein. 69 Prozent der teilnehmenden Mütter sahen ihr Selbstvertrauen und die Beziehung zu ihrem Kind dadurch gestärkt. Auch die Bilanz von Stefanie M. ist eindeutig: „Wir2 war mein Anker im Alltag – eine feste Koordinate, um durch die Woche zu kommen.“
Inzwischen ist ihr Sohn Wanja vier Jahre alt. Durch die berufliche Umorientierung war sie sieben Jahre ohne feste Arbeit. „Seit 11 Monaten bin ich nun Arbeitnehmerin in einer gefäßchirurgischen Praxis eines ambulanten Operationszentrums“. Auch sonst ist vieles besser geworden, beispielsweise das Verhältnis zu ihrer Herkunftsfamilie. „Alte Konflikte wurden begraben und der Fokus auf den Enkel und mich als Mama ausgerichtet. Meine Eltern verstehen heute, dass ich als Alleinerziehende Unterstützung und Schutz brauche. Das hat uns zusammengeschweißt.“
https://www.n-tv.de/leben/Alleinerziehend-war-nicht-der-Plan-article22071543.html