Ein Besuch im umstrittenen Marienwallfahrtsort Medjugorje

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„Was hier geschieht, ist kernkatholisch“
Von Rocco Thiede (KNA)

Marienwallfahrtsorte wie Altötting, Lourdes oder Fatima ziehen alljährlich Hunderttausende Pilger an. Auch das herzegowinische Medjugorje. Doch offiziell anerkannt ist es nicht.

Medjugorje (KNA) Vor 40 Jahren war Medjugorje noch ein kleines Dorf in Jugoslawien mit kaum Infrastruktur, aber einer relativ großen Kirche für die wenigen Einwohner. Dann soll 1981 mehreren Kindern die Muttergottes erschienen sein; Erscheinungen, die nach Angaben der mittlerweile erwachsenen „Seher“ bis heute anhalten. Die Schar der Menschen, die zu diesem vom Vatikan bislang nicht anerkannten Wallfahrtsort strömen, geht mittlerweile in die Millionen.
Von diesen Pilgern profitieren viele Einheimische. Medjugorje prosperiert nicht nur geistlich, sondern auch wirtschaftlich. Doch Skepsis bleibt: vom Vatikan über den Ortsbischof bis zu Theologen in Deutschland.
„Oh Gospa, liebe Gospa – segne uns, und bleib bei uns …“, singen die Pilger am Ende der allmorgendlichen Messe in deutscher Sprache. „Gospa“, Herrin, so wird auf Kroatisch die Gottesmutter angerufen. Dass Medjugorje bislang nicht vom Vatikan anerkannt wurde, scheint die Gläubigen nicht zu kümmern. Von Jahr zu Jahr werden es mehr.
„Ich habe hier schon oft erfahren, dass Gott wirkt. Medjugorje ist ein besonderes Geschenk für unsere Zeit“, meint Alexander Adler, ein Pilger aus dem Ruhrgebiet. „Besonders für uns in Deutschland, wo man den Eindruck hat, dass die Kirche zusammenbricht und nur noch von alten Leuten geprägt ist.“ Seit 2006 kommt der 26-Jährige mindestens einmal im Jahr her.
Der unklare Status der Wallfahrt stört ihn nicht: „Über die Anerkennung gibt es schon seit Jahrzehnten Spekulationen. Die Dinge, die hier in Medjugorje gelebt werden, sind kernkatholisch: die Feier der Messe, das Lesen der Bibel, die Sakramente. Wenn hier die Muttergottes wirklich erscheint, dann wird Medjugorje auch anerkannt werden. Und wenn nicht, wäre auch das gut.“ Für Adler ist klar: „Was die Muttergottes in Fatima begonnen hat, wird sie hier in Medjugorje vollenden.“

„Für die Jugend“
Petra Schäfer, eine Sauerländerin Ende 50, stimmt zu: „Fatima war mehr für unsere Generation. Das hier in Medjugorje geschieht fast ausschließlich für die Jugend: weil es frischer, lebendiger und authentischer ist.“ Ihr Mann Martin kennt den Ort schon seit 1990: „Die Hotels werden immer größer und komfortabler. Hier ist alles professioneller geworden. Rundum tolle Locations, wo man gut Pizza essen und Bier trinken kann.
“ Aber nicht nur wirtschaftliche Veränderungen bemerkt Schäfer. „Medjugorje ist nicht einfach nur Friede, Freude, Eierkuchen – sondern unglaubliche Arbeit, auch in einem selbst. Und Arbeit und Veränderungen in dieser immer christenfeindlicheren Welt sind notwendig!“
Die 28-jährige Nadja Neubauer aus München ist mit einer Gebetsgemeinschaft erstmals in Medjugorje. Ihren Tagesablauf schildert sie so: „viel Messe, Vorträge, Wanderungen auf den Erscheinungsberg und den Kreuzberg und natürlich Beichte“. Die Bedeutung dieses Sakramentes bekräftigt auch Martin Schäfer: „Medjugorje ist der Beichtstuhl der Welt geworden. Wer hier abends die langen Schlangen vor den Beichtstühlen sieht, soll das mal mit seiner Heimatgemeinde vergleichen!“
Für ihn ist logisch, dass der Vatikan Medjugorje noch nicht anerkannt hat: „Solange hier jeden Tag Wunder und Erscheinungen passieren, wie will der Vatikan da zu einem abschließenden Urteil gelangen?“ Dennoch könnten sich die Millionen Menschen, die jedes Jahr herkommen, nicht alle geirrt haben. Am Ende sei es wie bei der Heiligsprechung Papst Johannes Pauls II.: „Da wird mit den Füßen entschieden.“
Skeptischer äußert sich der Theologe Rainer Kampling von der Freien Universität Berlin. „Wir haben hier Gruppen, die ganz unverhohlen den jetzigen Papst ablehnen, sich aber selbst für die wahren Hüter der Katholizität halten. Und für die ist so ein Phänomen doch ein Geschenk.“ Dass die Erscheinungen angeblich bis heute anhalten, mache die Kurie in Rom, aber auch den Ortsbischof zu Recht skeptisch. „Was ist das für ein System, in dem sich die Jungfrau Maria angeblich 50.000 mal mitteilt?“, fragt Kampling.

„Religiöses Massenphänomen“

Eigentlich sollte schon lange eine abschließende Bewertung des Vatikans zu Medjugorje vorliegen. Aber die Verantwortlichen in Rom zögern weiterhin. Anfang 2017 ernannte der Papst den polnischen Erzbischof Henryk Hoser zum Sonderbeauftragten für den Wallfahrtsort. „Die Anerkennung als Wallfahrtsort würde nicht bedeuten, dass man die Marienerscheinung anerkennt“, erklärt Kampling. „Das ist kurios – denn zurzeit finden die Wallfahrten unerlaubt statt. Wir haben ein religiöses Massenphänomen, das in dem jetzigen Zustand dazu führt, dass viele Menschen katholischen Glaubens tatsächlich in actu gegen die Position der Kirche handeln.“
Bosnien-Herzegowina ist kulturell wie religiös kein einheitlich geprägtes Land. Der Krieg in den 1990er Jahren hat viele Wunden hinterlassen. Der Buchhändler Robert Teisler wohnt und arbeitet seit 17 Jahren mit seiner Frau und drei Kindern im Ort und erklärt: „Ist es nicht interessant, dass die Muttergottes als die Königin des Friedens in diesen Ort kommt, wo sich drei Religionen treffen: Islam, römisch-katholische und griechisch-orthodoxe Kirche?“ Irna Ostijic betreibt im Zentrum von Medjugorje ein kleines Pilgerhotel und einen BurgerImbiss. „Ich lebe seit 15 Jahren hier und lerne Menschen aus der ganzen Welt kennen. Das Wunder von Medjugorje passiert in jedem Herzen“, sagt sie. Theologe Kampling dagegen bleibt kritisch: „Nichts, was dort verkündet wird, ist irgendwie sensationell. Es entspricht dem, was auch bei anderen Marienerscheinungen vorkommt. Zum Teil Kalenderweisheiten – und theologisch keine Bereicherung.“